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BIBLIOTHEKEN Inseln im Datenstrom In der surreal anmutenden Architektur der Google-Datenzentren steht die Maschine im Mittelpunkt. Mehr als 2,26 Milliarden Kilowattstunden Strom verbrauchten diese Einrichtungen im Jahr 2010, das entspricht in etwa dem Stromverbrauch einer Stadt mit 200.000 Einwohnern (diese und nächste Seite). Neben gestalterischen und medientheoretischen Überle- gungen rückt die Gestaltung von Bibliotheken aber auch aus einem weiteren Grund in den Fokus aktueller Debat- ten. Im zeitgenössischen städtischen Umfeld, in dem die Belange des öffentlichen Raumes mit einem immer stärker werdenden Privatisierungsdruck und gesellschaftlichen Kontrollmechanismen kollidieren, die Passagen von Shopping-Malls zunehmend überwachte Zonen etablieren, bietet die Bibliothek ihren Nutzern einen geschützten Rück- zugsort. Der französische Philosoph Michel Foucault be- zeichnet diese besonderen Zonen als „Heterotopien“, Räume, in denen gewohnte gesellschaftliche Regeln außer Kraft gesetzt sind, in denen eigene Gesetze herrschen. Bibliotheken bilden in diesem Sinne inklusive Orte, Orte, an denen Kontemplation und kreativer Widerstand möglich werden und in denen sich das Wissen keinen Zwängen unterwerfen muss: In ihnen manifestiert sich das Ideal gesellschaftlicher Teilhabe. H.G. Wells Glaube an wissenschaftliche Segnungen, wich zum Ende seines Lebens kolossaler Ernüchterung. Seines Erachtens machte die zunehmende Komplexität und Un- übersichtlichkeit der modernen Welt produktiven geistigen Fortschritt unmöglich. Vielleicht würde er seine Meinung heute ändern, denn trotz der unermesslichen globalen Da- tenflut existieren noch immer Orte, an denen Nachdenken, Kontemplation und Muße möglich sind. 08


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